Gibt es da überhaupt ein klares JA oder NEIN? In welchen Fällen ist eine Kastration denn sinnvoll? Kann die Kastration wirklich Erziehungsprobleme lösen? Gibt es negative Folgen? Und wann ist der ideale Zeitpunkt für diesen Eingriff?

 

Im heutigen Blogartikel geht also um das umstrittene Thema Kastration – und das aus aktuellem Anlass…

Denn Mayla wurde Anfang Juni kastriert und so durfte ich in den letzten Tagen häufig folgende Fragen beantworten: „Warum hast du Mayla denn mit über 8 Jahren kastrieren lassen? Und vor allem warum denn bisher nicht?“ Auch das werde ich am Ende gerne verraten… 😉

 

Vorher möchte ich jedoch versuchen, das höchst umstrittene und komplexe Thema mit seinen Pros und Contras auf möglichst einfache Weise zu beleuchten. Denn die Kastration steht schließlich in engem Zusammenhang mit dem Verhalten des Hundes und ist zudem ein Punkt, mit dem sich beinahe jeder Hundebesitzer einmal im Laufe eines Hundelebens auseinander setzen und eine Entscheidung treffen muss.

Deswegen habe ich hier auch einen tollen Literatur-Tipp, für alle, die sich ein wenig mehr damit befassen wollen oder aktuell vor der Entscheidung stehen: Das Buch „Kastration und Verhalten beim Hund“*

 

Die Kastration im Wandel der Zeit

Tatsächlich fand hier in den letzten Jahren ein großes Umdenken statt.

Früher galt die Kastration bei den meisten mehr oder weniger als beste Entscheidung für den Hund. Aus gesundheitlichen Gründen (Stichwort Krebsvorsorge) aber auch aus verhaltensbiologischer Sicht. So wurde im Allgemeinen angenommen der Hund habe dann weniger Stress, käme besser mit Artgenossen zurecht und sei insgesamt umgänglicher.

Nach zahlreichen neuen Studien gibt es seit einigen Jahren jedoch einige neue Erkenntnisse, welche nicht nur uns Hundetrainer sondern auch Tierärzte und die gesamte Hunde-Szene zum Umdenken bewegte. Heute wird nicht mehr ganz so leichtfertig kastriert wie vor ein paar Jahren und das hat auch seine Gründe…

 

Die Kastration – eine sehr individuelle Entscheidung!

Ich selbst bin weder Gegner noch genereller Befürworter der Kastration, denn eine pauschale Aussage lässt sich hier überhaupt nicht treffen. Es ist eine Einzelfallentscheidung unter Abwägung aller Faktoren – aber eben darum ist es so wichtig, die Pros und Contras etwas genauer zu kennen.

Wusstest du, dass die Kastration laut Tierschutzgesetz sogar verboten ist? Erlaubt ist sie eben nur „im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation“, welche natürlich nicht nur medizinische sondern auch verhaltensbiologische Gründe haben kann.

Die zweite Ausnahme-Regelung, die Erlaubnis zur Kastration zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung, trifft auf den Familienhund übrigens in der Regel nicht zu. Denn man kann davon ausgehen, dass auch mit anderen Maßnahmen (wie einem guten Management) oder aber weniger tief greifenden Eingriffen (wie die Sterilisation) eine Fortpflanzungskontrolle zuverlässig möglich wäre. À propos Sterilisation…

 

Sterilisation oder Kastration?

Häufig wird angenommen, dass die Sterilisation die Hündin betrifft, während die Kastration beim Rüden durchgeführt wird. Das ist so nicht ganz richtig, denn beide Eingriffe sind bei beiden Geschlechtern möglich.

Die Sterilisation (Durchtrennen von Ei- oder Samenleiter) macht den Hund lediglich unfruchtbar ohne die große Veränderung im Hormonhaushalt. Die Sexualität bleibt also erhalten – mit all‘ ihren Vor- und Nachteilen.

Die Kastration bezeichnet dagegen die vollständige Entfernung der entsprechenden Organe.

Bei der Hündin werden dabei in der Regel nur die Eierstöcke entfernt, da sich die Gebärmutter anschließend zurückbildet, oder aber die Eierstöcke und die Gebärmutter, wenn diese z.B. bereits erkrankt ist.

Beim Rüden entfernt man die Hoden, hat jedoch auch die Möglichkeit zur chemischen Kastration…

 

Kastration „auf Zeit“ – die chemische Kastration beim Rüden

Der sogenannte Hormonchip ist inzwischen den meisten Hundehaltern ein Begriff. Diese chemische Kastration ist zwar einer tatsächlichen Kastration nicht ganz gleichzustellen, „imitiert“ diese aber sozusagen. Sie ermöglicht in vielen Fällen eine bessere Abschätzung, wie sich eine tatsächliche Kastration voraussichtlich (positiv oder negativ) auswirken würde.

 

Kastration aus gesundheitlichen Gründen

Es gibt einige Erkrankungen, bei denen eine Kastration aus medizinischer Sicht dringend erforderlich ist und Leben retten kann (z.B. Tumore oder eine schwere Gebärmuttervereiterung). Keine Frage, dass man hier mit einer Kastration zum Wohle des Hundes entscheidet.

Aber wie verhält es sich mit der Kastration als Gesundheitsprophylaxe? Vorbeugend kastrieren, um das Risiko bestimmter Erkrankungen zu senken?

Tatsächlich wird auch hier immer im Einzelfall ein Abwägen der verschiedenen Risikofaktoren sowie der Vor- und Nachteile erforderlich sein.

Jedoch: Die frühere Annahme, eine (evtl. sogar möglichst frühe) Kastration sei für die Gesundheit des Hundes generell besser, da sie z.B. bei der Hündin das Risiko von Gesäugetumoren erheblich reduziert, ist inzwischen höchst umstritten. Da in mehreren Studien z.B. das deutlich erhöhte Risiko anderer Krebserkrankung bei kastrierten Tieren belegt werden konnte, scheint das Thema Krebsvorsorge laut aktueller medizinischer Sicht zumindest kein Argument mehr für die Kastration zu sein.

 

Kastration und Verhalten

Unumstritten ist die Tatsache, dass sich eine Kastration ganz erheblich auf das Verhalten des Hundes auswirken kann – sowohl positiv als auch negativ. Grund dafür ist das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Hormone.

Da manche Hunde jedoch enorm unter ihren Sexualhormonen zu leiden scheinen, ist es da nicht sinnvoll, den Hund sogar möglichst früh zu kastrieren? Vielleicht sogar schon bevor das Theater mit den „Pubertieren“ überhaupt beginnt…?

Auch wenn das in Einzelfällen sinnvoll oder erforderlich sein kann, ist generell tatsächlich eher davon abzuraten. Denn die Frühkastration birgt erhebliche Risiken…

 

Die Frühkastration und ihre Folgen

In der Regel sprechen wir in Deutschland von einer Frühkastration wenn es um die Kastration vor Beginn der Pubertät geht, bei der Hündin also vor der ersten Läufigkeit.

Was dabei leider häufig vergessen wird: Die Pubertät – so anstrengend sie auch vor allem für uns Hundebesitzer ist – hat ihren Sinn und die Hormone erfüllen einen wertvollen Zweck!

Denn in dieser Zeit wird das Gehirn des jungen Hundes quasi „neu sortiert“. Das betrifft vor allem auch die Bereiche der Stressverarbeitung, sozialer Kompetenz und sozialer Intelligenz. So lässt sich schön beobachten wie z.B. Hündinnen mit jeder Läufigkeit ein wenig reifer und erwachsener werden.

Und gerade unsichere Hunde scheinen von der Pubertät und den Sexualhormonen dabei enorm zu profitieren.

Auf der anderen Seite hat die Pubertät Einfluss auf das körperliche Erwachsenwerden: Das Längenwachstum der Röhrenknochen wird beendet, die Wachstumsfuge endgültig geschlossen. Ebenso werden Sehnen und Bänder verstärkt und der Muskelaufbau verbessert. Das ist der Grund, warum frühkastrierte Hunde häufig „zu groß geraten“ (bei gleichzeitig schwachem Bindegewebe) und häufiger Gelenkserkrankungen haben.

Aus diesem Grund sollte gerade der richtige Zeitpunkt einer Kastration wohl überlegt sein und wünschenswert wäre in den meisten Fällen eine Kastration nach der Pubertät.

 

Kastration und Verhalten beim Rüden

Gerade bei Rüden bringt die Pubertät jedoch häufig eine ganze Reihe an unerwünschtem Verhalten und hier stellt sich doch die Frage, ob eine Kastration nicht eine enorme Erleichterung für Mensch und Hund ist.

JEIN!

Es gibt Hunde, die scheinbar hypersexuell sind und sich wegen der Hormone offensichtlich so gar nicht mehr konzentrieren können. Doch häufig sind diese Probleme mit Hilfe konsequenter Erziehung wunderbar in den Griff zu bekommen – und nicht selten lassen sie sich eben nicht durch eine Kastration lösen. Deswegen sollte der erste Weg bei diesen Problemen eher zum kompetenten Hundetrainer statt zum Tierarzt sein.

Denn dieser sollte auch einschätzen können, ob es sich tatsächlich um sexuell motiviertes Verhalten handelt, ob es sich lohnt die Höhen und Tiefen der Pubertät weiter durch zu stehen und ob eine Kastration die Probleme durch das Verhalten nicht vielleicht sogar noch verstärken könnte.

So kann „Aufreiten“ ein Zeichen von Stress und ständiges Schnüffeln eher jagdlich motiviert sein. Ebenso wird Aggression häufig eben nicht vom Sexualhormon Testosteron gesteuert, hat also nichts mit Rangordnung oder Status zu tun, sondern wird durch Angst, Unsicherheit oder Stress verursacht. Gerade da steuern die Sexualhormone entgehen und haben einen hemmenden Einfluss.

Und doch gibt es sie: Die Rüden, denen man mit einer Kastration scheinbar einen Gefallen tut, weil sie wirklich enorm unter den Hormonen leiden, und bei denen es nach der Kastration auch wieder viel besser mit der Erziehung klappt. Dank Kastration kann hier nicht nur dem Hund geholfen werden sondern auch dem Menschen, der nun mit seinem Hund wieder ein harmonisches Team bildet.

Es gilt eben nur sehr genau abzuwägen, ob dieser Eingriff wirklich gerechtfertigt und hilfreich ist.

 

Kastration und Verhalten bei der Hündin

Bei der Hündin stellt sich die Frage ebenfalls wenn sie unter den hormonellen Schwankungen enorm leidet.

Häufig wird als Kastrationsgrund die sogenannte Scheinträchtigkeit, die eigentlich vielmehr eine Scheinmutterschaft ist, genannt. In dieser Zeit zeigt die Hündin oft ein verändertes Verhalten, beginnt zu „nesteln“ und sucht sich Objekte zum Bemuttern. Dieser Prozess ist jedoch, selbst wenn die Hündin anfängt Milch zu geben, erstmal völlig natürlich und kein Grund zur Kastration.

Verursacht die Scheinträchtigkeit jedoch größere Probleme oder erscheinen die hormonellen Schwankungen unzumutbar für die Hündin, kann die Kastration natürlich Abhilfe schaffen.

Eine genaue Abwägung betrifft auch das aggressive Verhalten bei Hündinnen. Das Sexualhormon Östrogen kann nämlich sowohl Gegenspieler der Aggression sein und diese hemmen als auch in manchen Fällen aggressives Verhalten verursachen.

 

Nachteile der Kastration

Eine Kastration ist tatsächlich ein schwerwiegender Eingriff in das komplexe Hormonsystem des Hundes und birgt damit auch, neben den bereits oben erwähnten, einige Risiken.

Bereits genannt hatte ich ja schon die Risiken einer Frühkastration, das zum Teil deutlich erhöhte Risiko einiger Tumorarten sowie eine mögliche Wesensveränderung – manchmal „zum Guten“, aber leider eben nicht immer zum Vorteil und wie vielleicht erhofft.

Ein weiterer Zusammenhang wird zwischen Kastration und Schilddrüsenunterfunktion vermutet, da sie wohl vorwiegend bei (vor allem früh-) kastrierten Hunden aufzutreten scheint. Ebenso vermutet man eine Beeinträchtigung des Immunsystems durch den veränderten Hormonhaushalt.

Zudem kann gerade bei Hündinnen (gelegentlich auch bei Rüden) als recht häufige Nebenwirkung eine Harninkontinenz auftreten. Dies steht voraussichtlich auch im Zusammenhang mit der Lockerung des Bindegewebes, ebenso das häufigere Auftreten von Blasenentzündungen bei der Hündin sowie insgesamt scheinbar ein erhöhtes Risiko für Magendrehungen.

Ebenso kann es, häufiger bei bestimmten langhaarigen Rassen, zur Fellveränderung kommen, unter anderem zu ganzjährig starkem Wachstum der Unterwolle.

„Kastrierte Hunde werden dick?!“

Auch das gilt als Nebenwirkung der Kastration, da kastrierte Hunde einen veränderten Stoffwechsel und damit einen geringeren Energiebedarf haben, häufig bei gleichzeitig gesteigertem Appetit. Ob die Hunde dann tatsächlich dick werden oder nicht liegt jedoch in den Händen des Hundebesitzers, der die Futterrationen dementsprechend anpassen muss.

 

Vorteile der Kastration

Die größten Vorteile der Kastration sind wohl die oben bereits genannten: Medizinische Notwendigkeiten oder Abwägungen sowie der Einfluss auf das Verhalten des Hundes, der positiv sein kann.

Zudem lässt sich wohl sagen, dass ein Hund ohne Sexualität im Alltag zum Teil unkomplizierter ist, gerade wenn es darum geht ihn mal unterzubringen. Ein Ausbleiben der Läufigkeit ist vor allem für die meisten Hundebesitzer eine Erleichterung im Alltag und ja, es kommt natürlich zu keiner ungeplanten Fortpflanzung.

Gerade wenn Hündin und Rüde im selben Haushalt leben erfordert dies bei intakter Sexualität natürlich deutlich mehr Management und Führung als bei kastrierten, was man ebenfalls als Vorteil der Kastration sehen könnte.

 

Fazit

Nun dürfte klar sein, warum ich weder Gegner noch Befürworter der Kastration bin, sondern es für unbedingt erforderlich halte, diese Entscheidung nach genauer Abwägung aller Faktoren im Einzelfall für den Hund und seine Situation zu treffen. Deswegen empfiehlt sich auch der Rat eines kompetenten Hundetrainers und des Tierarztes seines Vertrauens wenn man selbst diese Entscheidung treffen muss.

 

Deine Meinung?

Nun bin ich gespannt, welche Meinung du zu diesem Thema hast! Welche Entscheidung hast du für deine Fellnase getroffen und würdest du wieder so entscheiden?

Ich bin mir sicher, dass wir Hundebesitzer nur das Beste für unsere Fellnasen möchten und immer nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Ich freue mich auf dein Feedback als Kommentar unter diesem Artikel und über einen wertschätzenden Austausch zu diesem Thema… 🙂

 

 

Für alle, die es interessiert, verrate ich natürlich gerne, warum wir uns bei Mayla nun mit über 8 Jahren doch noch für die Kastration entschieden haben:

Warum Mayla nicht früher kastriert wurde

Das lässt sich leicht beantworten: Für uns gab es nach Abwägung aller Faktoren bei Mayla einfach bisher keine ausreichende Notwendigkeit für eine Kastration, die Nachteile einer Kastration überwogen also ganz klar die vermutlichen Vorteile.

 

Warum Mayla nun doch kastriert wurde

Alles begann im letzten November als Mayla eine unklare Erhebung am rechten Vorderfuß operativ entfernt wurde. Der ein oder andere hat es auf facebook oder instagram schon mitbekommen: Der Befund war glücklicherweise unbedenklich, die eigentlich kleine Wunde machte dafür aber sehr große Sorgen. Scheinbar hat Mayla auf die Fäden allergisch reagiert und so entzündete sich die Wunde und wir wurden zum Stammgast bei unserer Tierärztin. Erst als die Fäden, trotz offener Wunde, gezogen wurden, heilte die Stelle wieder schnell und problemlos zu. Soweit so gut.

Im Januar ergab sich dann während der Läufigkeit der Verdacht einer Gebärmuttervereiterung, der sich letztlich zum Glück nicht bestätigte, aber gemeinsam mit der Fadenallergie dennoch Grund zur Sorge war.

Warum? Nun, Mayla hat aufgrund ihrer ungewöhnlich langen und unregelmäßigen Läufigkeiten tatsächlich ein erhöhtes Risiko mit zunehmenden Alter eine Gebärmuttervereiterung zu bekommen. Das alleine wäre wie erwähnt noch kein zwingender Grund für eine vorsorgliche Kastration, schließlich lässt sich diese bei rechtzeitigem Erkennen behandeln oder notfallmäßig operieren. Muss dann jedoch notfallmäßig bei einer Vereiterung kastriert werden, erfordert dies einen langen Bauchschnitt – und genau das machte der Tierärztin und uns Sorgen.

Einfach einen anderen Faden nehmen oder diesen vorher auf eine allergische Reaktion testen? Generell eine gute Idee, aber was Allergien angeht ist Mayla wirklich außer der Norm und somit ergab sich nach weiterem Abwägen die Entscheidung:

Eine vorsorgliche endoskopische Kastration, bei der innerlich die Wunden mit Strom verschlossen werden und äußerlich nur wenige Stiche erforderlich sind.
Bei diesem Eingriff wurden dann auch gleich noch die Ohren, die Mayla immer wieder plagten, gespült und eine Warze auf dem Nasenrücken entfernt.

Ob diese Entscheidung nun für Mayla die richtige war oder nicht, lässt sich natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Jedoch wurden aufgrund der bekannten allergischen Reaktion extra entsprechende Fäden genommen und selbst darauf zeigte sie eine leichte Reaktion – wir hoffen also, dass wir ihr damit langfristig einen Gefallen getan haben…

 

 

Mein Tipp für mehr Informationen zur Kastration: Das Buch „Kastration und Verhalten beim Hund“*

 

 

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